Als Sohn einer alteingesessenen Rotenfelser Handwerker- und Bauernfamilie konnte ich als Einziger des gesamten Geburtsjahrganges 1947-48 im Ort mit rund 5000 Einwohnern das Abitur machen. Wie ich dies geschafft hatte, ist mir noch heute ein Rätsel. Einfach war es auf jeden Fall nicht.

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Der damalige Rektor (im „Stresemann-Anzug„) meinte beim ersten Elternabend, dass an seinem humanistischen Gymnasium nur ein Schüler eine Chance hätte, der von seinem Vater eine Bibliothek zur Verfügung gestellt bekäme. Meine Eltern waren deprimiert und ratlos. Alles andere war mein Problem.

Als 13-Jähriger interessierte ich mich für die Mandoline meines Vaters, begann. im damaligen Handharmonikaspielring Melodika und bald darauf auch Akkordeon zu spielen. Schnell kamen Pauke, Schlagzeug und meine ersten Versuche auf dem Klavier hinzu. Wirklich professionellen Instrumentalunterricht zu diesen Instrumenten hatte ich nie.

Damit war aber das Interesse für eine mögliche Berufsausbildung vorgegeben.

Dass ich – aus einer katholischen und seit vielen Generationen eingesessenen Familie kommend und nur wenige Grundstücke neben der Kirche wohnend – Ministrant war (Messdiener), vervollständigte meine Voreinstellung. Dass ich eigentlich als Handwerker die optimalen Voraussetzungen für eine Ausbildung zum Technik-Lehrer hatte, kam damals irgendwie nicht zum Tragen, obwohl die Vorstellung meines Vaters war, dass ich Ingenieur werden könnte.

Nach dem Abitur im Kurzschuljahr 1966 am Goethe-Gymnasium in Gaggenau folgte das Studium an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe mit den Fächern Musik, Kathol. Religion, Deutsch und Sport.

Nach dem ersten Semester (Wintersemester 1966-67) 18 Monate lang sogenannter Grundwehrdienst, den ich mir als Musiker etwas interessanter gestalten konnte.

In besonderen Zeiten führte ich mit dem Wintersemester 1968-69 mein Studium weiter.

Studentenparlament, ASTA, Demos – bewegte Zeiten.

Schon damals begann ich, mich in Sachen Licht und Ton zu engagieren und betreute z.B. einen Auftritt von Hannes Wader in der Aula der Mensa der Hochschule mit meiner damaligen noch kargen Ausrüstung.

Eigentlich interessierte mich nur Musik wirklich und alle anderen Studieninhalte waren lästiger aber eben notwendiger Kram.

Professor Fuchs und die Lehrbeauftragten Schleuning, Frisius und Kemper prägten mich nachhaltig.

Im Keller des Musikgebäudes war das PUB untergebracht, wo der Kicker ein bedeutendes Ausbildungsgerät darstellte. Aber auch Musik-Größen wie Mangelsdorff traten dort auf.

Abschluss des ersten Studienabschnittes mit der Prüfung zum Lehramt als Grund- und Hauptschullehrer im Frühjahr 1972.

Weiterführung des Studiums zum Realschullehrer ebenfalls an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.

Abschluss mit der zweiten Dienstprüfung zum Realschullehrer in den Fächern Musik und Kathol. Religionslehre im Frühjahr 1973.

Irgendwie konnte ich es erreichen, statt der regelgerechten 8 Semester insgesamt 10 Semester zu studieren und mit einer ausgezeichneten Note in Musik abzuschließen. Eigentlich wollte ich nicht aufhören und akzeptierte den Studienabschluss mit großem Bedauern. Hinzu kam, dass ich aufgrund der Kriegsverletzungen meines Vaters staatlich gefördert wurde und durch Musikmachen neben dem Studium verdienen konnte. Damit war ich schon seit meinem 18. Lebensjahr finanziell komplett autonom.

Meine letzte Wohnung war immerhin eine 150qm-Wohnung in einer der alten Beamtenvillen in der Reinhold-Frank-Str. mit 5 Zimmern, 3,50m hohen Räumen und Stuck an der Decke – ideal als Szenentreff, wozu meine immer größer werdende Musik-Anlage beitrug. Als diese so groß war, dass ich sie nicht mehr angemessen ausfahren konnte, begann ich, Discoveranstaltungen zu machen.

Mein Produkt war damals die Rockdisco im Jugendheim Anne Frank in der Moltkestraße – legendär. In einem Raum, in den vielleicht 200-250 Leute passen, waren bis zu 600 Tanzende.

Es ergab sich, dass ich mit dem Schlagzeug am ehesten Geld verdienen konnte. Im dörflichen und vom Akkordeonorchester bestimmten Umfeld begann ich mit Tanzmusik und bald auch ab 1964 in einer Schülerband, die aktuellen Beat-Nummern zu spielen. Im Studium kam dann der Swing in einer Jazzband hinzu.

Die erste Stelle brachte mich an die August-Renner-Realschule in Rastatt. Meine Versuche, dort etwas musischen Wind in den Schulalltag zu bringen, stießen nicht auf positives Echo aus dem Rektorat. Ich würde das Schlagzeug der Schule „mit Füßen treten“. Ja, mit was denn sonst?

Die Konferenzen liefen immer nach demselben Muster ab: Der Rektor fokusierte auf eine Person aus dem Kollegium und machte diese/n zur Schnecke. Alle kannten das, blickten betreten auf den Tisch und hofften, dass der Kerl jetzt nicht den zweiten Herzinfarkt bekommt – oder wünschten ihm diesen auch. Auf jeden Fall ließen das alle über sich ergehen. Danach zog er sein Programm ohne jeden Widerspruch durch. Dort nach einem halben Jahr weg zu kommen, war ein Segen.

Der Rektor an meiner nächsten Realschule in Baden-Baden erklärte mir, dass ich mir doch bewusst sei, dass meine Versetzung noch weiter weg von Karlsruhe eine Disziplinierungsmaßnahme sei, weil ich nicht so funktionieren würde, wie das von mir erwartet wurde. Aha.

Der rund 100m lange Flur zwischen dem Rektorat und dem Lehrerzimmer am anderen Ende war eine Strecke, die der Rektor nur für Konferenzen zurücklegte. Ansonsten war es die Aufgabe des Konrektors, die Befehle und Anweisungen an das Kollegium über den Flur zu tragen. Die Beziehungen von Rektorat und Kollegium waren ansonsten von Dienstaufsichtsbeschwerden geprägt.

Ich konnte beim Vorbeifahren auf dem Weg zur Schule früh morgens den Aufruhr erleben, nachdem in Baden-Oos damals der Schlachthof explodiert war. Das sprach sich schnell in der Schule rum. Es gab SchülerInnen, deren Väter im Schlachthof arbeiteten. Als ein Schüler danach fragte, ob er nach Hause gehen könne (damals gabs noch keine Handys), meinte der Rektor, dass er, als sein Vater im Krieg fiel, auch nicht schulfrei bekommen hätte.

Es war klar – ich musste da schnellstmöglich weg. Nun war aber die Realschule in Baden-Baden damals als Sackgasse bekannt. Dort wieder weg zu kommen, war fast unmöglich. Viele hatten das versucht und nach Jahren aufgegeben. Inzwischen hatten sie geheiratet oder eine Wohnung erworben oder gebaut und hatten sich abgefunden.

Ich aktivierte das Wahlfach Musik an der Realschule. Dieses beantragte bei der Schulbehörde, dass ich als Musiklehrer in den Bereich Karlsruhe versetzt werde, weil sie mich als Mentor (Ausbildungslehrer für Studierende) benötigten. Das funktionierte.

Meine nächste Stelle war ein Glücksgriff: Friedrich-Realschule in Durlach. Dort mündete Tradition und motivierte Aktion unter einem verdammt guten Rektor zusammen. Die nächsten 10 Jahre konnte ich zeigen, was möglich war. Neue Einrichtung des Musikraumes, Schulband, Aufführungen. Es war eine kreative Truppe, die dort am Wirken war. SchülerInnen wie Lehrer haben dies als inspirierende Zeit in Erinnerung.

Während dieser Zeit machte ich privat Musik in einer typischen Durlacher Band, in der wir irische Folklore und politische Texte in ein Konzept passten. Das brachte uns bei der ersten Bundestagswahl für die Grünen im Rahmen der Konzertreihe „Die grüne Raupe“ mit acts wie „Klaus Lage“, „Eulenspygel“ und „Konstantin Wecker“ auf die Bühne.

Leider beendete die Pensionierung dieses Rektors die unter ihm wirkende Tradition. Der cholerische Konrektor, der als Interimsrektor den Job übernahm, sorgte dafür, dass ich in das damals angekündigte Versetzungskarussell mit eingebunden wurde.

So kam ich an die Max-Planck-Realschule nach Bretten. Nach der Erfahrung eines guten Rektors in Durlach (vor dem Choleriker) erlebte ich einen, der als Schriftführer der CDU zu einem Job kam, für den er eigentlich nicht geeignet war. Das, was er eigentlich machen hätte sollen, übernahm (nein, nicht der Konrektor) ein Lehrer, der mit seinem Können und seiner Ruhe alles machte, was gemacht werden musste.

Ich hatte inzwischen erprobt, wie man sich seinen Freiheitsspielraum erarbeitet. Als Verbindungslehrer, der die Schülerschaft hinter sich hat, und als Musiklehrer, der bei Veranstaltungen dann arbeitet und das Fähnchen der Schule hochhält, während andere Sekt trinken, hat man als Arbeitstier Kredite, die man einlösen kann. Ich richtete den zweiten Musiksaal ein und leitete meine zweite Schulband. In Bretten kam dann natürlich noch das Peter-und-Paul-Fest als einer der größten Mittelalter-Events in Süddeutschland hinzu. Das sollte Auswirkungen auf meine eigene musikalische Praxis haben. Ich begann, Musik auf Mittelaltermärken zu machen, in entsprechenden Gruppen mitzuspielen, solo aufzutreten und auch ein eigenes Ensemble zu gründen. Auch die ersten größeren und regelmäßig stattfindenden Schuldiscos etablierte ich dort. Ich hatte inzwischen eine eigene große Anlage dazu und einen Lkw, der von mir eigens dafür angeschafft wurde.

Beendet wurde die Anstellung an dieser Schule durch mich selbst: Ich beschloss, ein Jahr auszusteigen und nach fünf  Jahren in Bretten das Schuljahr 1989/90 auf Reisen zu verbringen. Dazu hatte ich aus einem 608er in Lang- und Hoch-Version ein Expeditionsmobil gebaut und verbrachte 8 der nächsten 12 Monate darin, hauptsächlich in der Türkei. Nach vielen Jahren jeden Sommer im Raum Kalamata/Peloponnes /Griechenland wurde damit die Türkei zu meiner nächsten Wahlheimat neben der eigentlichen angestammten Heimat.

In diese Zeit fiel auch meine Entscheidung, künftig nicht mehr als Religionlehrer für katholische Religionslehre zur Verfügung zu stehen. Ich tauge nicht zum Schäfchentreiber in eine bestimmte Koppel. Es war konsequent, dass das Fach so heißt, dass es dem, was ich tatsächlich auch unterrichte, angemessen sein kann. So erklärte ich, dass ich ab sofort nur noch Ethik unterrichten möchte. Eigentlich war das nicht möglich, weil Religionslehrer nicht in Ethik wechseln können, um die religiöse Indoktrination nicht durch die Hintertür ins Fach Ethik zu tragen. Diese Gefahr bestand bei mir nicht, was aber wohl keine Rolle spielte. Es wurden Lehrer für Ethik gebraucht – und es funktionierte. Ab da war Ethik das Fach, das neben der Vollzeitarbeit in Musik eher eine Art interessantes Hobby war, in dem ich ohne Repressalien umsetzen konnte, was ich für interessant und wichtig hielt.

Als ich 1990 wieder zur Verfügung stand, musste für mich eine neue Stelle gefunden werden. Das funktionierte super: Ich kam noch näher an meinen damaligen Wohnort Walzbachtal – an die Geschwister-Scholl-Realschule im Bildungszentrum Berghausen. Die nächsten 17 Jahre sollte ich dort wieder einen Musikraum einrichten, eine Schulband aufbauen und meine besten Konzerte gestalten. Da ich im selben Gebäude Konkurrenz durch gymnasiale Ensembles hatte, spezialisierte ich mich auf Produktionen mit bis zu 60 SchülerInnen im Zwischenbereich von Folk, Pop, Blues und Rock. Damit besetzte ich eine Nische ohne Konkurrenz und machte Konzerte im Rahmen des kultusministeriellen Programms „Schulen musizieren“ mit Auftritten beim Treffen der Schulmusiker in Karlsruhe oder bei einem Konzert im Neuen Schloss in Stuttgart.

In dieser Zeit machte ich meine 25 Jahre Verbindungslehrerschaft voll. Ich habe von niemand gehört, der in seinen rund 40 Jahren Lehrerdasein ein Viertel Jahrhundert als Verbindungslehrer verbrachte. Es ist typisch für die Schulhierarchie, dass sie ein solches Engagement nicht erkennt und auch nicht würdigt.

Die Tatsache, dass ich so nahe an meinem Wohnort unterrichtete, ergab, dass ich 22 Jahre lang als Leiter des Jugendmusizierkreises der Naturfreunde in Walzbachtal-Jöhlingen mit MusikerInnen aus meiner Schulband auch im Verein zusammen Musik machen konnte. Die Synergieeffekte erbrachten für alle besondere Ergebnisse.

Im Jahr 2002 starb mein Vater und ich entschloss mich, das väterliche Anwesen in Bad Rotenfels zu übernehmen. Deshalb beantragte ich meine Versetzung dort in der Nähe. Erst 2007 konnte dies umgesetzt werden. Ich wurde zum Musiklehrer an der Realschule in Baden-Baden, meiner ersten Stelle – inzwischen unter der Leitung eines interessanten Musikers, der aber neben seiner Aufgabe als Schulleiter jemand brauchen konnte, der in der Lage war, die Position des hauptamtlichen Musiklehrers an der Schule auch auszufüllen. Das konnte ich.

Wieder richtete ich das Fach Musik neu ein und formte meine letzte Schulband. Ich hatte das Glück, in diesen letzten fünf Jahren als Lehrer fünf bühnenreife Sängerinnen zur Verfügung zu haben. Neben einem umfangreichen Poprepertoire konnte ich deshalb auch eine Gospelformation aufbauen – vier- bis fünfstimmig mit vier Sängerinnen und mir am Flügel.

Meinen Abschied vom Lehrerdasein krönte ich mit einem Konzert, in dem ich die Summe dieser Arbeit präsentieren konnte.